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Albumvorstellung: Lieder der Commune

Updated: Oct 21, 2022


von Alexander Kinsky


Die Grenzgänger um Michael Zachcial, die 1989 in Bremen gegründete Folkband, überrascht immer wieder mit Alben, die historische Wegmarken in den Fokus rücken. Im Frühjahr 2021 initiierten sie eine Musikvideoreihe anlässlich 150 Jahre Pariser Commune. Das Doppelalbum dazu kam am 12.11.2021 bei Müller-Lüdenscheidt in den Handel.


Mitten im Deutsch-Französischen Krieg bildete sich von März bis Mai 1871 ein spontaner revolutionärer Stadtrat in Paris, der versuchte, ein menschenwürdigeres Leben für alle, eine demokratische Gesellschaft zu ermöglichen. Die Pariser Kommune kann als Vorbild der Rätedemokratie angesehen werden, bei dem die Räte an die Weisungen der Wähler gebunden sind.


Bei wikipedia finden sich kompakte Zusammenfassungen zu den Pariser Geschehnissen von 1871 und zur Rätedemokratie.



Mit der Proletenpassion legte die österreichische Folkrock-Band Schmetterlinge in den 70er Jahren ein volksbildnerisch unschätzbares Projekt vor, dessen vierter Abschnitt die Pariser Kommune behandelt. Die Texte dazu stammen von Heinz R. Unger. In einer Fabrikhalle wurde dieser Abschnitt 1978 für den ORF als 55 Minuten-Film in der Regie von Peter Sämann aufbereitet. Die Ereignisse vom 1871 werden hier, szenisch angedeutet sowie mit einigen historischen Aufnahmen ergänzt, nacherzählt und musicalartig mit kabarettistischen und Folk-Pop-Rockchansons vertieft, inklusive Parodien auf den Radetzkymarsch, das Aznavour-Chanson „Du lässt dich geh´n“ und Offenbachs Can-Can.





Willi Resetarits, damals Mitglied der Schmetterlinge, später Ostbahn-Kurti, formuliert darin (sich in einen der Kommunarden versetzend) sinngemäß, was Konstantin Wecker im selben Jahr auf Schallplatte und live singt und 2021 auf Weckers „Utopia“-Tournee mit der Conclusio von der letztendlichen Anpassung in den expliziten Anstoß wandelt: „Es ist nicht in Ordnung, dass jemand regiert.“


Das Doppelalbum „Lieder der Commune“ nun bietet als roten Faden „Die Internationale“ in französischen, spanischen, portugiesischen, deutschen und instrumentalen Aufnahmen. Im Video aus Lateinamerika singen und musizierten Natalia Martínez, Patricia Souza, David Bedoya und viele mehr.





Dazu kommen großteils neu vertonte vielfach ins Deutsche übersetzte Originaltexte aus der Commune sowie weitere Lieder zum Thema. Das sorgfältig gestaltete Booklet mit allen Liedtexten und kurzen historischen Informationen zu einzelnen Liedern, bei den Grenzgängern stets eine Selbstverständlichkeit, verdient ein Extralob für Gestaltung, Grafik und Lektorat. Der Großteil der Original-Liedtexte stammt vom Dichter der „Internationale“ Eugene Pottier. Es gibt deutsche, französische und ein jiddisches Lied, und zwischendurch hört man auch Moselfränkisch. Neben den Grenzgängern wirken unter anderem Manfred Maurenbrecher, Johanna Zeul, Andrea Pancur, Suli Puschban, Klaus der Geiger, Microphone Mafia, Die Polkaholix, Sons of Gastarbeita und Dominik Plangger mit.


Die 36 Titel des Doppelalbums fügen sich zu einer bunten Mischung aus kämpferischen bis tief betroffenen (soziales Elend und Krieg, aber auch Hoffnung und Zuversicht ganz unmittelbar einfangenden) Volksliedern, Balladen und Chansons zusammen.

Die flotteren Beiträge der Grenzgänger selbst sind stilistisch wieder sympathisch verwandt den Liedern von Hans-Eckardt Wenzel. Die Lust an gefälliger Melodie verwandelt die poetische Ernsthaftigkeit beider Liedtexte oft zu verführerischen Ohrwürmern.


Der stilistische Mix des Doppelalbums, von Individualisten wie Dominik Plangger mit seiner Gitarre oder Manfred Maurenbrecher mit seinen gewichtigen Klavierballaden bis zu diversen Ensemblenummern, dem Punk-Rap von Sons of Gastarbeita etwa, besticht abwechslungsreich.


Am stärksten unter die Haut gehen „Arbeitslos“ mit Andrea Türk & Stephan Werner (vgl. Gustav Mahlers „Das irdische Leben“ aus den Wunderhorn-Liedern) sowie Manfred Maurenbrechers „Sohn der Gosse“ (vgl. Udo Jürgens, „Kind einer Nacht“). Lieder, die Einzelschicksale so empathisch wie hier aufgreifen, vermögen eine umso größere Betroffenheit zu erzielen.


In „Jean Misere“ fassen die Grenzgänger und in „Es kann ja nicht immer bleiben“ das 1. Bremer Ukuleleorchester die Geschichte der Pariser Commune kompakt in jeweils einem eigenen Lied zusammen. Suli Puschbans „Marguerite“ gibt der Revolution ein Kinderlied.

„Germania mir graut vor dir“ bringen die Grenzgänger beklemmend anklagend.


Bei den „Soldaten der Verzweiflung“ der Grenzgänger mag man an Hannes Waders „Es ist an der Zeit“. erinnert werden. „Der Junge“, auch ein erschütterndes Einzelschicksal, kommt mit Microphone Mafia stilistisch exponiert als Hip Hop Rap Nummer. Das ausführlichste Lied des Doppelalbums ist das zehn Minuten lange „Hört ihr´s wimmern aus der Erde“ mit Andrea Pancur und Anja Günther. Einer von 36 hörenswerten, lehrreichen und nachdenkenswerten Tracks, die jedes Nie-wieder-Krieg bestärken und Lust darauf machen, intensiver an einer demokratischen, allen Menschen gerecht werdenden Gesellschaft mitzuarbeiten.


Die Grenzgänger Homepage mit CD-Bestellmöglichkeit: https://xn--die-grenzgnger-fib.de/













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